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Unzureichende Risikoforschung

Völlig unzureichende Risikoforschung

 

Als vorläufig letzten Punk und überleitend zur Conclusio soll auf die bisher getätigten Risikoanalysen des beschriebenen Projekts eingegangen werden. Wie veranschaulicht werden konnte, scheint das apokalyptische Risikopotential der bevorstehenden Hochenergieexperimente am LHC in den offiziellen Sicherheitsberichten des CERN durchaus auf, um dann allerdings unter Hinweis auf wahrscheinlichere Hypothesen entschieden abgetan zu werden. Es ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Sicherheitskalkulationen des CERN seinerseits wesentlich auf Hypothesen beruhen. Eine prozentuelle Risikoabschätzung von offizieller Seite liegt uns nicht vor. Inoffizielle prozentuelle Risikoabschätzungen beziffern ein apokalyptisches Szenario beispielsweise von „optimistischen“ 0,0001 – 16%, was der Trefferwahrscheinlichkeit beim Russischen Roulette gleichkäme. Eine diesbezügliche Möglichkeit einer „optimistischen“ Risikoberechnung erstellte etwa der Physiker Dr. Wolfgang Beyer: „An sich sollte ein Risiko von 0,0001 für eine Intervention ausreichen. Es entspräche ja rein rechnerisch einer moralischen Qualität von über 600.000 mit Sicherheit geopferten Menschenleben nämlich entsprechend 0,0001 mal 6 Milliarden Menschen.“, wenn man nur die derzeit auf der Erde lebenden Menschen einbezieht. Die in der Fußnote dargelegte Risikoberechnung macht auch ersichtlich, dass sich das Risiko durch die plausible Veränderung nur zweier Parameter stark erhöht.1 Dies insbesondere für den allzu leicht möglichen Fall unbekannter Faktoren: „Seit der Einsicht in die Widersprüchlichkeit einer Kombination von Quanten- und Relativitätstheorie Anfang des letzten Jahrhunderts und der damit verbundenen Forderung nach einer übergreifenden Theorie ist die Forschung gekennzeichnet von einer Fülle von Hypothesen, die man damals als äußerst bizarr bezeichnet hätte mit Phänomenen wie verborgenen Raumdimensionen, Branen, Multiversen, Raum-Zeit-Schäumen usw. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn uns auf dem Weg zur Quantengravitation – und bis 10-35m ist’s evtl. noch weit – noch eine Fülle von Entitäten begegnet, die wir heute noch ebenso wenig denken können wie die Physiker um 1900 die Unschärferelation. In diesem Zusammenhang finde ich auch die Anzahl der bereits heute diskutablen Szenarien bemerkenswert, nämlich mit Monopolen, Strangelets und Vakuumzuständen insgesamt 4 […].“ Konkret die Risikoberechnungen bezüglich des LHC ansprechend führt Beyer fort: „Was wäre mit derzeit unbekannten Szenarien, für die vielleicht nur eine einzige Bedingung [Anm.: um als apokalyptische Gefahr schlagend zu werden] zur Debatte stünde?“ Und bezüglich Schwarzer Löcher: „[…] nehmen wir mal eine logarithmisch gleichverteilte Wahrscheinlichkeit für die unbekannte Obergrenze der Größe der verborgenen Raumdimensionen an, dann ist angesichts der Zahl der Größenordnungen des noch verbleibenden Bereichs bis zur Plancklänge eine Wahrscheinlichkeit von knapp 10% durchaus realistisch, dass die LHC-Experimente die richtige Größenordnung touchieren.“2

 

Das Risiko einer Erdzerstörung ist tatsächlich vorhanden. Dieses Risiko ist aufgrund der Größenordnung und wohl auch der Wahrscheinlichkeit nicht mit jenem Risiko vergleichbar, dass sich etwa ein Dachziegel lösen könnte, gerade wenn man aus dem Haus geht.

Den Beschwerdeführern ist nicht erkenntlich, dass – wie sonst für viele Sicherheitsuntersuchungen in anderen Bereichen (z.B. im Kernreaktorbau, Flugzeugentwicklung) üblich – ein bestimmtes methodisches Vorgehen, hier also ein Verfahren der Sicherheitsprüfung bei globalen Risiken oder bei Totalrisiken, zuvor entwickelt worden wäre. Nach einem vorweg entwickelten Risiko-Regulativ hätten die Sicherheitsbewertungen der LSAG-Safetyreports bei weitem systematischer durchgeführt werden müssen. Die vorliegenden LSAG-Reports steigen unreflektiert und unmittelbar in die physikalische, wissenschaftliche Bewertung der theoretischen Risikoszenarien ein. Das offensichtliche Fehlen eines grundsätzlich vorgeschalteten methodischen Ansatzes ist ein Mangel schlechthin, der sich dadurch erklärt, dass im physikalischen Bereich – vielleicht aus nachvollziehbaren Gründen -offenbar eine Scheu besteht, große Risiken bei scheinbar kleinen Ungewissheiten auf statistischer und mathematischer Basis analytisch zu untersuchen.

Methoden anderer Wissenschaftsdisziplinen, die sich mit Gefährdungsuntersuchungen auseinandersetzen, sind für die Beschwerdeführer nicht erkennbar in die LSAG-Safetyreports eingeflossen.3 Zu der Sicherheitsbeurteilung reicht den LSAG-Safetyreports allein die physikalische, theoretische Betrachtung aus, ohne dass etwa mathematische, statistische Analysen mit dem Ziel einer Abschätzung von Irrtumswahrscheinlichkeiten (z.B. minimale, maximale Risikoveranschlagung) erkennbar zur Anwendung gekommen sind. So ist zu erklären, dass eine Risikobezifferung im Rahmen der vorliegenden LSAG-Reports  vermieden wird und fälschlich ein ausreichend sicheres Ja, jedoch nur mit alltagssprachlichem Wert, welchem auch nur irrtümlich kein Zweifel mehr zugewiesen wird, zu der Risikoverneinung im Report resultiert. Nach naturwissenschaftlich anerkannter Sicht, etwa gemäß der von Karl Popper beschriebenen Falsifikations- und Verifikationsdynamik wissenschaftlicher Systeme, gibt es in der Wissenschaft keine „richtige“ Hypothese, sondern nur eine These, die falsifiziert werden kann. Die LSAG-Berichte erwecken jedoch in ihrer schlussendlichen Konsequenz den Eindruck einer v o l l s t ä n d i g e n Sicherheit, die somit als nicht  wissenschaftlichen Grundsätzen genügend bewertet werden muss.